Stimmt es, dass der Effekt von Massenimpfungen auf Infektionskrankheiten sehr gering ist ?

Einige Personen ordnen den Rückgang von impfpräventablen Krankheiten Veränderungen unserer Lebensgewohnheiten zu (z.B. Ernährung, Wasserqualität, Hygiene). Die Bedeutung dieser Faktoren ist unbestritten. Aber die Grafiken, die den zeitlichen Verlauf der Masern- und Keuchhustensterblichkeit zwischen 1850 und 1970 darstellt, lassen indessen ausser Acht, dass die Qualität der Statistiken vor 1950 viel zu wünschen übrig lässt. Sie stellen Todesfallfrequenz pro Million Kinder dar, womit der Anschein erweckt wird, dass Masern oder Keuchhusten keine Todesfälle mehr verursachten, bevor die Impfungen eingeführt wurden.

Dies vermittelt den Eindruck, dass das Sterberisiko von Masern und Keuchhusten praktisch null beträgt und die Impfungen deshalb unbedeutend sind. Dem ist nicht so. Die Letalität von Masern in Europa liegt auch heute noch bei etwa 1 : 1’000, wie Epidemien in den Niederlanden in den Jahren 1999-2000 (3 Todesfälle auf 3600 gemeldete Fälle) und in Italien in 2002 (4 Todesfälle auf 20'000 gemeldete Fälle) in Erinnerung rufen. Das Risiko für Säuglinge, an Keuchhusten zu sterben, liegt auch heute noch in der Grössenordnung von 1: 100 bis 1 : 200.

Die Bedeutung von Massenimpfungen für die Kontrolle von Infektionskrankheiten kann sogar in industrialisierten Ländern einfach aufgezeigt werden. Beispiele sind das Verschwinden von Masern, Röteln und Mumps in Finnland zwischen 1980 und 2000, der eindrückliche Rückgang des Keuchhustens in Schweden zwischen 1995 und 2004, oder der Abfall von Haemophilus influenzae Typ b Meningitiden in der Schweiz seit 1990. Gut geführte Impfprogramme tragen auch in Ländern mit niedrigerem Lebensstandard zur Elimination von Krankheiten bei, man denke zum Beispiel an die Poliomyelitis, aber auch an das Verschwinden der Masern in Zentral- und Südamerika oder Ländern der ehemaligen UdSSR.

Referenz:
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